MANGELERNÄHRUNG: URSACHEN FÜR DIESEN ERNÄHRUNGSBEDINGTEN ZUSTAND

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Mangelernährung hat komplexe und multifaktorielle Ursachen. Neben verschiedenen medizinischen Faktoren gibt es häufig nicht medizinische Ursachen für Mangelernährung, wie soziale Isolation, die Unfähigkeit, sich selbständig gesundes Essen zu beschaffen und zuzubereiten sowie Armut. Oft liegen auch Kombinationen verschiedener Faktoren vor.


Mangelernährung entsteht als Folge einer mangelnden Zufuhr von Energie und Nährstoffen über die Nahrung. Zu den Anzeichen einer Mangelernährung zählen eine veränderte Körperzusammensetzung und messbare Veränderungen von Körperfunktionen. Ist die aufgenommene Energie langfristig geringer als der tatsächliche Bedarf, spricht man von quantitativer Mangelernährung. Die qualitative Mangelernährung hingegen ist durch einen Mangel an bestimmten Nährstoffen gekennzeichnet. Kombinationen beider Formen kommen ebenso vor.


Neben dem Gewichtsverlust weist eine Mangelernährung eine Vielzahl spezifischer und unspezifischer Symptome auf. Personen mit einem Risiko für Mangelernährung müssen frühzeitig erkannt und die zugrunde liegenden Ursachen für Mangelernährung evaluiert werden, damit zeitnah eine entsprechende Behandlung bei Mangelernährung erfolgen kann.

Ursachen von Mangelernährung im Überblick

Kognitive und funktionale Beeinträchtigungen, die eine ausreichende Nährstoffversorgung erschweren, zählen zu den Risikofaktoren einer Mangelernährung. In westlichen Industrieländern sind die Ursachen von Mangelernährung leider nach wie vor in sozialer Isolation und Armut zu finden. Oft ist es aber auch die Kombination mit einer Erkrankung, die zu einer Mangelernährung führt.1

Ursachen – Überblick:1

  • verminderte Nahrungsaufnahme
    Dem Körper wird über einen längeren Zeitraum zu wenig Nahrung zugeführt. Zum Beispiel durch Änderungen des Geschmacks- und Geruchssinnes im Alter, durch Kau- und Schluckstörungen oder durch ein vermindertes Appetitgefühl aufgrund von Arzneimitteln.
  • Malabsorption/Maldigestion
    Die zugeführten Nährstoffe können nicht ausreichend aufgenommen (Malabsorption) oder verdaut (Maldigestion) werden. Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) sowie Magen- und Dünndarmerkrankungen können diese Funktionen beeinträchtigen.
  • verminderte Nährstoffverwertung zum Beispiel durch eine Insulinresistenz, welche u. a. bei Infektionen oder einer Leberzirrhose entstehen kann.
  • erhöhter Energieaufwand
    Bestimmte Krankheitsprozesse wie beispielsweise Tumorerkrankungen können einen erhöhten Nährstoff- und Energiebedarf mit sich bringen.

Spezifische Ursachen für Mangelernährung im Alter

Laut einer bundesweiten Befragung in Deutschland haben ältere Menschen nicht generell größere Defizite in der mittleren täglichen Zufuhr von Mikronährstoffen, wie Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen.2 Dennoch ist Mangelernährung unter älteren Menschen weitverbreitet. Warum zählt das Alter trotzdem zu den Ursachen für Mangelernährung? Mit zunehmendem Alter kommt es zu einer Vielzahl von altersphysiologischen Veränderungen, die Einfluss auf die Nahrungsaufnahme und Nahrungsverwertung haben. Diese machen ein höheres Alter neben der Anzahl an applizierten Medikamenten und bestehenden malignen Erkrankungen zu unabhängigen Risikofaktoren für Mangelernährung.3


Neben Krankheitsaspekten spielen im Alter vor allem physische, psychische, sozio-ökonomische und umweltbezogene Ursachen für Mangelernährung eine Rolle. Die Erkennung und Beseitigung der Ursachen sind ein wichtiger Baustein für die Mangelernährungs-Prophylaxe.4

Spezifische Ursachen für Mangelernährung im Alter

Um die Ursachen von Mangelernährung im Alter strukturiert und gewichtet darzustellen, wurde von Wissenschaftlern und klinischen Experten das DoMAP Modell (Determinants of Malnutrition in Aged Persons) entwickelt. Es soll als Grundlage für Maßnahmen bei Mangelernährung dienen.


Es besteht aus drei ineinander liegenden Dreiecksebenen. Im Zentrum steht die Mangelernährung. Sie ist umgeben von den drei zentralen Ursachen für Mangelernährung, wie niedrige Energie- und Nährstoffzufuhr, reduzierte Bioverfügbarkeit von Nährstoffen und erhöhter Nährstoffbedarf. Die zweite Ebene beinhaltet Faktoren, die direkten Einfluss auf die drei zentralen Ursachen haben. Zum Beispiel Appetitlosigkeit als Ursache für geringe Zufuhr oder Durchfall als Ursache für reduzierte Bioverfügbarkeit. Die dritte Ebene beinhaltet Faktoren mit indirekter Funktion. Sie liegen den Faktoren in Ebene zwei zu Grunde. Zum Beispiel eine Depression als Ursache für Appetitlosigkeit oder ein Schlaganfall als Ursache für Kau- und Schluckbeschwerden, die wiederum zu einer geringen Zufuhr führen.


Das Modell soll zum Verständnis der Vielzahl an Ursachen für Mangelernährung beitragen. Außerdem kann es im klinischen Alltag hilfreich sein, um Personen mit erhöhtem Risiko für Unterernährung zu identifizieren.5

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Nicht nur das Alter spielt eine Rolle als Ursache für Mangelernährung. Auch junge Menschen mit chronischen Erkrankungen der Lunge oder des Darms sind häufig von einer Mangelernährung betroffen. Umso wichtiger ist eine frühzeitige und individuell angepasste Ernährungstherapie. Denn eine Vorerkrankung kann eine Mangelernährung begünstigen, die wiederum Einfluss auf den Krankheitsverlauf und die Prognose hat.

Erkrankungen im Überblick:

Insgesamt ist festzuhalten, dass die höchste Prävalenz von Mangelernährung bei bösartigen Erkrankungen, insbesondere Malignomen der Leber, der Gallenwege und des Pankreas vorliegt, bei den nicht-malignen Erkrankungen führen die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sowie chronische Herz- und Lungenerkrankungen.6

Abbildung 2: Prävalenz von Mangelernährung in Korrelation mit unterschiedlichen Krankheitsbildern (modifiziert nach Pirlich et al., 2003)6

Erkrankung Häufigkeit von Mangelernährung (%)
chronisch entzündliche Darmerkrankung 40
chronische Herzinsuffizienz 37,5
gutartige Lungenerkrankungen 30,8
chronische Lebererkrankungen 28,9
rheumatoide Arthritis 28
Herzklappenfehler 25
systemischer Lupus erythematodes 23,1
cerebrale Ischämie 23,1
Vorhofflimmern 22,5
systemische Infektionen 20
Vasculitis/ Myositis 20
koronare Herzerkrankung 16,5
gutartige Gallenwegs- und Pankreaserkrankungen 15,4
gastrointestinale Blutungen 12,5
gastroösophagealer Reflux 10

Abbildung 3: Häufigkeit der Mangelernährung in Abhängigkeit unterschiedlicher gutartiger Erkrankungen6

Selten ist die direkte Wirkung von Medikamenten Ursache für eine Mangelernährung. Viele Medikamente können aber indirekt, über eine Beeinflussung der Nahrungsaufnahme, der Verdauung oder über die Störung des Appetits zu Ernährungsstörungen führen.7 Zu den unerwünschten Medikamentenwirkungen zählen vorrangig Magen-Darm-Probleme. Diese können sich u. a. durch Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen bemerkbar machen. Bestimmte Therapien, zum Beispiel Chemotherapien, führen häufig zu unangenehmen Begleitsymptomen, die eine beschwerdefreie Nahrungsaufnahme zusätzlich erschweren und eine Mangelernährung begünstigen.

Effekte von Medikamenten auf die Nahrungsaufnahme:8

  • die Beeinflussung des Appetits
  • Veränderungen der pH-Verhältnisse im Magen-Darm-Trakt
  • Interaktionen mit den Gallensäuren
  • Beeinflussung der Motilität im Magen-Darm-Trakt
  • Inaktivierung von Verdauungsenzymen
  • Kompetitive Hemmung der Nährstoffresorption
  • Schädigung der resorbierenden Enterocyten
  • Komplexbildung zwischen Nährstoffen und Medikamenten
  • Beeinflussung der Metabolisierung und Utilisation von Nährstoffen
  • Veränderung der Nährstoffausscheidung

Effekte von Medikamenten auf die Nährstoffverdauung:8

  • Beeinträchtigung der Pankreasfunktion mit Verminderung der Enzymsekretion
  • Inaktivierung von Verdauungsenzymen im Darmlumen
  • Beeinflussung der Darmschleimhaut und der Bürstensaumenzyme
  • Einfluss auf die Aktivität von Verdauungsenzymen durch Sulfonamide, Diuretika, Anticholinergica und Antikonvulsiva

Mangelernährung bei Krebs

Onkologische Patienten haben ein besonders hohes Risiko für Mangelernährung. Jeder zweite Krebspatient ist während einer Krebstherapie mangelernährt.9 Der Ernährungsstatus hat aber Einfluss auf die Therapieverträglichkeit, die Lebensqualität und das Gesamtüberleben.


Bei einer Mangelernährung bei Krebs gilt es genau zu unterscheiden, ob diese eine Anorexie (ungewollter Appetitverlust und die damit verbundene Gewichtsabnahme) oder eine Kachexie (ungewollter Gewichtsverlust aufgrund eines veränderten Metabolismus) im Rahmen der Tumorerkrankung bzw. der Tumortherapie ist. Als Grundlage für eine entsprechende Behandlung von Mangelernährung bei onkologischen Patienten dienen die Leitlinien der European Society for Clinical Nutrition and Metabolism (ESPEN).10


Zu den Ursachen einer Mangelernährung bei Krebs gehören neben einer inflammatorischen Stoffwechsellage auch gastrointestinale Störungen wie beispielsweise Durchfall oder Blähungen. Diese betreffen den gesamten Gastrointestinaltrakt, beginnen häufig mit einer Stomatitis/Mucositis und führen im gesamten Verlauf zu weiteren Schleimhautentzündungen im Magen-Darm-Trakt. Zudem führen Nebenwirkungen von Medikamenten, Schmerzen, psychische Belastung und soziale Faktoren zu Veränderungen im Appetit- und Ernährungsverhalten.


Eine sehr häufige Ursache für Mangelernährung bei Krebs ist die Tumorkachexie. Sie unterscheidet sich vom Hungerstoffwechsel, da sie als entzündlich-katabole Stoffwechsellage im Rahmen des Tumorgeschehens gilt, die durch einen Anstieg von Zytokinen ausgelöst wird. Die Kachexie wird in verschiedene Stadien eingeteilt, wobei das weiterfortgeschrittene Stadium mit einer verkürzten Lebenserwartung einhergeht. Umso wichtiger ist bei onkologischen Patienten die individuelle Ernährungsberatung und -therapie, um einer Mangelernährung entgegenzuwirken.9

Quellen

  1. Saunders J., Smith T.; Malnutrition: causes and consequences; Clinical medicine 2010; 10 6, 624-7
  2. Löser Ch.; Ursachen und Klinik der Mangelernährung; Therapeutische Umschau 2014; 71 (3): 135 – 139
  3. Koch A et al.; Mangelernährung im Krankenhaus; E&M – Ernährung und Medizin 2009; 24: 111 – 115
  4. Lobitz R.; Mangelernährung im Alter: Neues Determinanten-Modell; Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) 2019;
    https://www.bzfe.de/service/news/aktuelle-meldungen/news-archiv/meldungen-2019/juli/mangelernaehrung-im-alter/#:~:text=%E2%80%9EUnser%20neu%20entwickeltes%20Modell%20%C2%BBDeterminations,Faktoren%20und%20unterschiedlichen%20Entstehungsmechanismen%20beitragen.; abgerufen am 19.02.2024
  5. Volkert D, et.al.; Development of a Model on Determinants of Malnutrition in Aged Persons: A MaNuEL Project; Gerontology & Geriatric Medicine 2019; Volume 5: 1–8
  6. Pirlich M., et al.; Prevalence of malnutrition in hospitalized medical patients: impact of underlying disease. Dig Dis 2003; 21: 245–251
  7. Krähenbühl S.; Ernährung im Alter - Mit Mangelernährung assoziierte Medikamente: ein Problem im Alter?; Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin2006; Jahrgang 4 Nr. 5
  8. Marktl W.; Ernährung & Medikamente – eine komplizierte Beziehung; Journal für Ernährungsmedizin online archiv 2017; Verlagshaus der Ärzte GmbH;
    https://jem.at/2017/ernaehrungsmedizin/ernaehrung-medikamente-eine-komplizierte-beziehung/; abgerufen am 20.02.2024
  9. Erickson N., et al.; Mangelernährung in der Onkologie Ursachen, Folgen und Bedeutung der Ernährungstherapie; Ernährungs Umschau 2018; 12
  10. Arends J.,et al.; ESPEN guidelines on nutrition in cancer patients; Clin Nutr 2016; 36: 11–48